Vom Fischer und seiner Frau: Paolo und Milena, Teil 1

In der kleinen, knallblauen Fischbude von Milena unten in Cupra Marittima kaufen wir seit Jahren ein.

fischbude

Nicht nur weil Milena unglaublich sympathisch und offen ist, sondern in erster Linie, weil ihre Ware so frisch ist, wie man hier sieht.

milena und knurrhahn neu

Laden

Meist bewegt sich noch ein Drittel der Auslage. Heute zuckt es u.a. in der Garnelenkiste, bei den Heuschreckenkrebsen und Kaisergranaten und die Stabmuscheln strecken uns die  Zungen raus…

fischauslage neu 2

garnelen allein neu

Milenas Mann Paolo ist Fischer. Frische und Qualität der Ware stehen für Milena und Paolo an erster Stelle, deswegen kaufen wir bevorzugt bei ihnen ein. Auch Milena stammt übrigens aus einer Fischerfamilie, eine halbe Stunde nördlich von hier. Unten steht ein Eimer Venusmuscheln – Vongole. Die sind von heute Nacht. Milena schiebt sie unter der Theke durch und sagt: “Berühr’ sie mal sachte. Hörst du’s? Wenn man sie anfasst macht es ‘ppppfffscht’, weil sie dann ihre Schalen zumachen!” Den Frischegrad der Venusmuscheln erkennt man unter anderem daran, wieviel Wasser sie verlieren. Wenn sie fangfrisch sind, schmeckt das Muschelfleisch intensiv und es tritt viel Flüssigkeit und Meerwasser in die Pfanne aus. Was wiederum die Voraussetzung für eine hervorragende Soße ist, denn nur dann nimmt der Sugo all diese Aromen auf. Wenn die Muscheln nicht mehr so frisch sind, verlieren sie keine Flüssigkeit mehr und schmecken fade.

muscheln dreierlei neu

Paolos Vater war bereits Fischer und schon mit 4 Jahren fuhr er mit aufs Meer und erlernte das Handwerk von der Pieke auf. Er und Milena haben klein angefangen. Erst haben sie direkt am Strand verkauft, später legten sie sich einen kleinen Lieferwagen mit kleiner Thekenpritsche zu und Milena fuhr sommers wie winters die Ware aus. Die beiden Kinder Anna und Andrea hatte sie stets mit dabei und mittlerweile erlernt Andrea das Metier des Fischers. “Das ist kein Beruf, sondern das ist dein Leben!” sagt Paolo. “Du musst dafür geboren sein, eine Leidenschaft und das Herz dafür haben. Mit vollem Einsatz immer ein Stück voraus sein, sonst kannst du dein Boot gleich wieder verkaufen. Ist kein regelmäßiges Leben, das du da führst. Fährst nachts raus, musst essen, wenn du keinen Hunger hast und schlafen wenn du nicht müde bist.” Paolo liebt das Meer und das, was er tut über alles, obwohl es nicht so einfach ist. Auch was das Materielle angehe – vorhersehbar ist er nicht, dieser Beruf. “Du kannst in einer Nacht bei einem Unwetter alles verlieren, aber in einer Nacht kannst du auch zum König werden, wenn du ‘nen tonnenschweren Fang machst!”

Früher war er an 7 Tagen draußen, 4 Boote besitzt er heute. Eines seiner Boote, das nach seinem Sohn benannt wurde, ist auf dem Schild hinter der Theke zu sehen. Es wurde auch von einem seiner Bekannten als Modell für ihn nachgebaut.

schild neu

modello barca

Seit einiger Zeit nimmt er sich für die Familie zumindest den Sonntag frei. Ansonsten Weihnachten, Ostern und an den kirchlichen Feier- und Totengedenktagen. Gerade hat sich die Familie seit langer Zeit einmal eine ganze Woche Auszeit genommen. “Die Fischer sind alle gleich” sagt Milena. “Eine Woche schaffen sie es mal abzuschalten. Aber du kriegst sie nicht von der Küste weg, das Meer muss immer in der Nähe sein. Das ist wie eine Abhängigkeit. Da hinten in die Berge fahren? Unmöglich.” Arbeit gibt es immer. Jetzt im Winter flickt Paolo die Netze, damit alles bereit ist, wenn es wieder richtig los geht. In der Gegend hier kennen sie ihn alle. Er ist ein sagenhafter Erzähler und sogar das italienische Fernsehen berichtete schon über ihn.

paolo in action

Das mit den Netzen ist so eine Wissenschaft. Für jeden Fang gibt es das richtige Netz. Paolo arbeitet am liebsten mit dem Sandnetz, das für Meeräschen, Seezungen und Plattfische -welche sich bevorzugt am Meeresgrund aufhalten- geeignet ist. Auch das Schleppnetzfischen hat er seinerzeit von einem 70-jährigen Fischer gelernt. Doch nicht nur das richtige Netz zählt, sondern auch wo und vor allem wann man die Netze einsetzt. “Ich sag mal so” grinst Paolo, “das ist, wie wenn du dein Netz vor ‘ner Kirche ausbreitest: Ist’n Unterschied, ob du es montags da hinlegst oder an einem Sonntagvormittag.” Nach einer Unwetterflut beispielsweise, sei es wichtig, das Sandnetz an der richtigen Stelle zu positionieren. Die bodennah lebenden Fische setzten sich nämlich dann in Bewegung. Allerdings könne auch viel Dreck in die Netze gespült werden und man finde vom Plastik bis zum Treibholz alles mögliche darin. In letzter Zeit habe es starke Regenfälle hier gegeben und die Flüsse hätten aus den Bergen viel Unrat und Holz ins Meer gespült. Je nach Saison und erwünschtem Fang fährt Paolo nachts zu den unterschiedlichsten Zeiten raus. Im Moment ist Meerschneckenzeit, ab April beginnt dann die Saison der Tintenfische der “Seppie”. “Wunderschön sind die” sagt Paolo und wendet sich an Giuseppe. “Das kannst du erst verstehen, wenn du’s mit eigenen Augen gesehen hast. Ich nehm’ dich mit raus, wenn’s soweit ist, da muss man dabei sein! Sie verändern unentwegt ihre Farbe, von Zebrastreifen bis zum schillerndsten Grün… Und manchmal erwischen sie dich und spucken dich an mit ihrer Tinte, dann kommst du ganz schwarz nach Hause!”

seppie allein neu

Wir sind über das Angebot begeistert. Wer bekommt schon die Gelegenheit mit einem der besten Fischer rauszufahren? Am intelligentesten und am zähesten, so erzählt er weiter, seien übrigens die Kraken. “Sieh zu, dass ein Krake niemals seinen Tentakel irgendwo rankriegt! Ich hab mal einen aus dem Netz gezogen, da erwischt der – zack – mein Boot mit seinen acht Beinen und saugt sich fest. Ich ziehe an seinem Kopf, der zieht dagegen, ich ziehe, der zieht und päng hab ich nur noch den Kopf in der Hand und seine Beine kleben noch am Boot. Jetzt halt dich fest, ich kuck da hin, da laufen die Tentakeln alleine weg!! Kannst du dir das vorstellen? Ohne Kopf, denk ich, wie soll das denn gehen? Die sind sowas von zäh! Den Kraken kannst du nur umbringen, wenn du ihn genau zwischen den Augen mit einem Messer erwischst! Alles andere funktioniert nicht…” schließt Paolo. Uns fröstelt ein wenig und wir müssen kurz an Heinz denken (s. Blogbucheintrag vom 29.01.)… “Es erscheint vielleicht manchmal widersprüchlich, aber ab und zu berührt mich manches doch” erzählt er weiter.  Einmal hatte er einen großen Rochen gefangen. Auf einen solchen Fang verzichtet normalerweise kein Fischer. Als er ihn ins Boot zog, sah er, dass es sich um ein hochschwangeres Weibchen handelte. (Rochenweibchen brüten ihre Eier im Leib aus, die Jungtiere kommen lebend oder kurz nach der Eiablage zur Welt). Sie gebar ihren Nachwuchs in seinem Boot. Zu jenem Zeitpunkt war Milena schwanger. Paolo warf das Rochenweibchen samt Nachwuchs ins Meer zurück…

Teil 2 – mit Paolo zum Tintenfischfang – folgt!